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Die Nein-Sagerin

Eigentlich will ich da nicht hin. Das Thema und die Leute interessieren mich nicht, es ist mir zu teuer, und Zeit habe ich gerade sowieso keine. Trotzdem gehe ich schliesslich hin. Ich könnte ja etwas verpassen, mich selbst ins Aus befördern durch meine blosse Abwesenheit. Kommt Ihnen bekannt vor? Dann sind Sie in guter Gesellschaft; die Problematik ist weit verbreitet.

Die Kolumne ist Teil der Serie «Mehrwert» des Verbands Frauenunternehmen, erschienen am 27. Februar 2020 in der «Handelszeitung».

Nicht nur Frauen haben das höfliche Ja-Sagen seit ihrer Kindheit verinnerlicht. Offenbar gibt es auch zahlreiche Männer, die darin Meister sind. Was erst einmal banal klingt, ist nicht nur eine persönliche Herausforderung, sondern betrifft auch die Volkswirtschaft. Wer nicht Nein sagen kann, hat Mühe sich abzugrenzen. Das führt häufig zu Überforderung, Überlastung, Rückenschmerzen, Bandscheibenvorfällen, Kranktagen, Burnout – die ganze Palette der Stresssymptome.

Nein ist kein normales Wort, das lernen wir schon als kleine Kinder. Ein klares Nein hat Kraft, und vielleicht setzen es viele Menschen deswegen selten ein. Wer Nein sagt, bezieht Position und übernimmt Verantwortung für das eigene Leben.

Eine Nein-Sagerin kennt ihre Werte, setzt Prioritäten und erweist der Gesellschaft damit einen grossen Dienst. Denn auch für andere können wir nur dann etwas Positives bewirken, wenn wir das fokussieren, was uns wichtig ist – und Nein sagen zu all den schönen Dingen, die uns im Kern gar nicht interessieren.

Vielleicht macht sich das auf der Karriereleiter bemerkbar, vielleicht ist eine Nein-Sagerin auch schlicht ein glücklicher Mensch. Etwa weil sie nicht mehr über anzügliche Bemerkungen von Arbeitskollegen hinwegsieht. Weil sie neue Bedingungen aushandelt, anstatt Extraarbeit einfach hinzunehmen. Oder weil die Ablehnung, vor der sie sich gefürchtet hat, entweder nicht eintritt – oder am Ende gar nicht so schlimm ist. 

Meine eigenen Fähigkeiten, Nein zu sagen, sind mittelmässig. Als Mutter gelingt es mir meist gut, sehr zum Leidwesen meiner Kinder. Als Unternehmerin: Ich arbeite dran. Und finde, es ist Zeit für die nächste persönliche Challenge: Raus aus der Komfortzone! Geniessen wir die Angst, denn sie ist das Tor zu unserer Weiterentwicklung. Haltung einnehmen, Augen auf und durch.

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